Portfoliotheorie (3) – Das eigene Risikoprofil bestimmen

Wie wir bereits aus dem ersten Beitrag der Artikelserie wissen, kann das Risiko eines Portfolios durch Diversifikation reduziert werden. Dabei wird eine weniger riskante Anlageklasse (z.B. Tagesgeld, festverzinsliche Anleihen, etc.) einer riskanten Anlageklasse, wie Aktien, beigemischt.
Deshalb lautet die Gretchenfrage eines jeden Investors: „Wie sieht mein perfektes Mischungsverhältnis aus und welches persönliche Risikoprofil habe ich?“

Der klassische Ansatz

Zuerst betrachten wir eine der ältesten und einfachsten Finanzregeln zur Ermittlung der optimalen Aktienquote in einem Portfolio. Sie lautet:

Aktienquote (in %)  = 100 - Lebensalter (in Jahren)

Hinter dieser einfachen Idee verbirgt sich der Gedanke, dass mit zunehmendem Alter die Aktienquote reduziert wird. Um den Zusammenhang besser zu verstehen, rufen wir uns die größten Drawdowns des MSCI World der letzten 50 Jahre aus dem zweiten Artikel der Serie in Erinnerung. In Krisenzeiten ist der globale Aktienindex um jeweils ca. 50% eingebrochen und es dauerte fast 7 Jahre bis zur vollständigen Erholung.
Ein junger Investor hat noch ausreichend statistische Lebenszeit, um derartige Kursverluste auszusitzen und gleichzeitig von den hohen Renditechancen, die von einer hohen Aktienquote ausgehen, zu profitieren. So käme ein 20-Jähriger rechnerisch auf eine Aktienquote von 80%.
Bei einem Best Ager sieht die Sache schon ganz anders aus, da dieser das Ersparte entweder zur Absicherung des Ruhestandes benötigt oder einfach nicht mehr genug Lebenszeit hat, um eine Krise durchzustehen. Ein 65-Jähriger hätte demnach nur noch eine Aktienquote von 35%. Er profitiert zwar noch teilweise von den Chancen des Aktienmarktes, reduziert aber das Risiko erheblich.

Der wissenschaftliche Ansatz

Die Wissenschaftler der Universität Mannheim um Prof. Dr. Dr. h.c. Weber haben auf ihrem Portal für Behavioral Finance einen Risikosimulator für Portfolios auf Basis historischer Daten veröffentlicht. Mit dessen Hilfe lässt sich das individuelle Risikoprofil eines Investors abschätzen.

Zu Beginn wählt der Anleger die Investitionssumme, den Zeitraum der Investition und gibt eine Schätzung für das eigene Risikoprofil ab. In diesem Beispiel wurde die Simulation mit einem Anlagebetrag von 10.000 EUR über eine Dauer von 10 Jahren gestartet. Der Investor schätzt sein eigenes Risiko als hoch ein.


Die linke Graphik zeigt die Verteilung der möglichen Vermögenswerte nach 10 Jahren. Im Durchschnitt wird sich das Vermögen auf nahezu 20.000 EUR verdoppeln. Jedoch gibt es auch zahlreiche Szenarien, die zu höheren Gewinnen aber auch zu hohen Verlusten führen.
Nun kann der Anleger das Risiko innerhalb der Simulation erhöhen oder reduzieren und sich damit anhand von konkreten Vermögenswerten an das eigene Risikoprofil herantasten.
Die rechte Graphik zeigt in unserem Beispiel das Ergebnis der Simulation. Der Anleger hat das Risiko und damit die Wahrscheinlichkeit sowohl von hohen Gewinnen als auch Verlusten reduziert. Weiterhin hat sich das theoretische Endvermögen auf rund 14.000 EUR vermindert. Das Risiko-Tool ermittelt hieraus ein für den Anleger „ideales“ Portfolio mit einer Volatilität von 7,36%.

Und was sagt nun dieses Ergebnis aus?

An dieser Stelle werden sich die meisten Investoren ziemlich alleine gelassen fühlen.
Denn lediglich aus der finanzmathematisch ermittelten Volatilität des eigenen „idealen“ Portfolios lässt sich leider kein direkter Rückschluss über die optimale Mischung von Aktien und Anleihen ableiten.

„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“

Johann Wolfgang von Goethe (aus dem Werk „Faust“)

Der pragmatische Ansatz

Um der Sache dennoch auf die Spur zu kommen, hilft etwas Recherche im Internet. So geben die meisten Robo-Advisor historische Risiko- und Performance-Kennzahlen für ihre unterschiedlichen Portfolios an. Im nachfolgenden Beispiel sehen wir die Kennzahlen für ein Investment bei growney.
Der Anleger unseres Beispiels würde bei einer mathematisch ermittelten Volatilität in Höhe von 7,36% daher einen Aktienanteil zwischen 50% und 70% als „ideal“ einstufen.

AktienanteilAnleiheanteilVolatilität
(annualisiert)
Maximum DrawdownRendite p.a.
20%80%2,11%7,20%2,11%
30%70%3,74%12,81%2,89%
50%50%6,10%23,51%4,39%
70%30%8,58%33,52%5,82%
100%0%12,50%47,22%7,88%
Kennzahlen der Anlagestrategien grow20, -30, -50, -70, -100 von 2004 – 2019 | Quelle: Growney | Stand: 21.08.2020

Nun vergleichen wir die Volatilität der letzten 12 Monate, die den starken Kursrückgang während des Corona Schocks beinhaltet. Details zeigt die nachfolgende Graphik.
In diesem Marktumfeld hätte der Investor eine Aktienquote von gerade einmal 20% bis 30% als „ideal“ eingestuft. 
Jetzt stehen wir also vor dem nächsten Dilemma: ziehen wir die historische Volatilität oder die derzeitige Volatilität zur Bestimmung des Aktienanteils heran?

Mein Tipp

In diesem Beispiel würde ich zu einer Aktienquote von etwa 60% tendieren, die auf Basis der historischen Volatilität abgeleitet wird.
Jedoch muss dem Investor bewusst sein, dass hierbei maximale Kursverluste von etwa 25% bis 30% möglich sind und es mehrere Jahre bis zur Kurserholung dauern kann.
Falls der Investor keine oder kaum Börsenerfahrung hat und nicht über einen langfristigen Anlagehorizont (mindestens 10 Jahre) verfügt, würde ich aber zu einer niedrigeren Aktienquote neigen.

Take-aways

  • Die Ableitung der Aktienquote vom Lebensalter des Anlegers berücksichtigt nicht dessen persönliches Risikoprofil.
  • Mittels des Riskosimulators der Uni Mannheim kann die Risikoeinstellung eines Investors geschätzt und durch Verwendung der historischen Volatilität die ideale Aktienquote grob abgeleitet werden.
  • Für einen langfristigen Investor ist die Volatilität der letzten 12 Monate als Orientierung eher ungeeignet, da sie das Risiko in Krisenzeiten eher überschätzt und während einer Hausse unterschätzt.
  • Bei der Bestimmung der Aktienquote bleibt der Blick auf den Maximum Drawdown und die Dauer zur Kurserholung elementar.
  • Die endgültige Entscheidung über die Höhe der Aktienquote für das eigene Portfolio muss der Investor selbst treffen. Kennzahlen und Tools können lediglich eine Orientierung geben.

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